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Brüssel (deutsch für französisch Bruxelles)
Hauptstadt Belgiens. Die Stadt B., deren Name sich bis ins 7. Jh. zurückverfolgen lässt, entwickelte sich vom 12. bis zum 14. Jh. zu einer der wichtigsten Städte des Herzogtums Brabant. Unter den Herzögen von Burgund (1430–77) gewann B. weiter an Bedeutung und wurde administratives sowie politisches Zentrum. Maria v. Burgund (reg. 1477–82), die letzte Vertreterin dieses Geschlechts, war mit dem späteren Kaiser Maximilian I. (reg. 1482–94) verheiratet. Die enge Beziehung B.s zu den Habsburgern dauerte mit Unterbrechungen bis zum Ende des 18. Jh.s an (seit Karl V. regierten Stellvertreter der spanischen Linie, ab 1713 der österreichischen). Allerdings verlegten Maria und Maximilian ihre Residenz in das benachbarte Mecheln und erst unter der Statthalterschaft von Maria v. Ungarn (Schwester Karls V., Statthalterin 1531–56) wurde B. endgültig zur Hauptresidenz der habsburgischen Niederlande (seit Ende des 16. Jh.s bestehen sie nur noch aus den südlichen Teilen, die ungefähr dem heutigen Belgien entsprechen; 1572 sagten sich Holland und Seeland von den burgundischen Ländern los, 1579 schlossen sich Holland, Seeland, Utrecht, Gelderland, Overijsel, Friesland und Groningen zur Republik der Niederlande zusammen). Nach dem Ende der Feldzüge Napoleons wurden die beiden niederländischen Teile abermals vereinigt. Die endgültige Trennung erfolgte nach dem B.er Aufstand von 1830, der die Gründung des Königreiches Belgien zur Folge hatte.

In der Residenzstadt B. nahm die Musik am Hof eine wichtige Rolle ein. Unter den Herzögen v. Brabant war v. a. Heinrich III. († 1260) nicht nur als Musikliebhaber, sondern auch als Trouvère bekannt, der zahlreiche Sänger an seinem Hof beschäftigte. Die Musikkultur am Burgunder Hof des 14. und 15. Jh.s war eine der reichsten im damaligen Europa und hatte Vorbildwirkung. Für die von Philipp dem Guten gegründete Hofkapelle (Chapelle Bourgogne in der Folgezeit bis zum Ende des Ancien Régime unter dem Namen Chapelle du Roi) konnten einige der bekanntesten Musiker der damaligen Zeit verpflichtet werden, wie Gilles Binchois, Anthoine Busnois, Pierre Fontaine, Nicolaus Grenon, Hayne van Ghizeghem, Robert Morton, Jacobus Vide und Pierre de la Rue.

Unter Maximilian und seinen Nachfolgern Philipp dem Schönen und Karl V. hat eine burgundische bzw. flämische Kapelle weiter bestanden, welche die Herrscher auch auf ihren Reisen begleitete. Darunter findet man bekannte Musiker wie N. Mayoul, Nicolas Gombert, Thomas Crecquillon und Cornelius Canis. Daneben entwickelte sich aber auch am Hof der jeweiligen Statthalter ein reges Musikleben. Der spanische und später der Wiener Hof sollten durch das große kaiserliche Zeremoniell und die höfische Gottesdienstordnung spiegelbildlich in B. repräsentiert werden, wofür auch eine Hofkapelle benötigt wurde. Sie reichten in ihrer Bedeutung jedoch nie an die burgundischen heran. Ihre Kapellmeister waren in der Reihenfolge: Benedictus Appenzeller (1530–51), Pierre de Hotz, Jean-Jacques de Turnhout, Géry de Ghersem (1604–1630), Charles Caullier (1630–58), Jean Tichon (1658–66), Honoré Eugène d'Eve (1666–85), Nicholas van Rans (1658–98), Pierre-Antoine Fiocco (1698–1714) gemeinsam mit Pietro Torri, Jean-Joseph Fiocco (1714–46), Henri-Jacques de Croes (1749–86), I. Vitzthumb. Daneben sind noch die als katholische Musiker exilierten Peter Philips und John Bull (vor 1650–1737) zu nennen. Pieter van Maldere (1729–79) erwarb sich mit seinen Symphonien internationalen Ruf, und die Organisten Peter Cornet, Abraham van den Kerckhoven und Josse Boutmy (1697–1779) waren namhafte Musiker. Im 17. Jh. gab es neben der Kapelle, die für die Kirchenmusik zuständig war, ein Kammerensemble, das von einem maestro di musica geleitet wurde (maestri di musica: u. a. Pedro Rimonte, G. Zamponi; Musiker: J. de Saint-Luc [Lautenist], François Le Cocq [Gitarrist], Philippus van Wichel [Violinist], die Organisten gehörten beiden Institutionen an). 1695 wurden die beiden Ensembles zusammengelegt. Typisch für das 17. und 18. Jh. sind Musikerdynastien, wie die Organisten van den Kerckhoven, die Theorbisten und Lautenisten de Saint-Luc und Le Cocq, die Geiger Rottembourg, die maîtres Fiocco, die Organisten und Komponisten Boutmy, die Geiger und Komponisten van Maldere.

Die Statthalter waren auch an der Entfaltung des B.er Theaterlebens beteiligt und verwendeten viele Aufführungen für eigene repräsentative Zwecke. Erzhzg. Leopold Wilhelm gab 1650 die erste Oper für B. in Auftrag, Ulisse all 'isola di Circe von G. Zamponi zu den Feierlichkeiten anlässlich der Hochzeit von Philipp IV. v. Spanien mit Maria Anna v. Österreich. Davor wurden diverse Feiern mit dem Ballet de cour zelebriert (erste aufgeführte Ballette: Ballet des Princes Indiens 1634, Ballet du monde 1650, Ballet des dieux et des déesses 1664 – nur noch die Libretti vorhanden).

Bis in das 17. Jh. gab es keine eigens dafür vorgesehene Aufführungsstätte. Als erstes Gebäude wird ein aus Holz konstruierter Saal am Montagne Sainte Elisabeth genannt, 1681 ein weiteres am Quai au Foin, das von der Académie de Musique initiiert wurde. 1700 eröffnete das Théâtre de la Monnaie. Unter den Leitern des Theaters (einer der bekanntesten war Charles Favart) waren auch einige Mitglieder der Hofkapelle: Honoré Eugène d’Eve, Pierre Antonio Fiocco, Pieter van Maldere und I. Vitzthumb. Französische Opern dominierten (v. a. von Jean-Baptiste Lully, André Cardinal Destouches und André Campra). Eigene Opernkompositionen waren die Ausnahme – teilweise wurden Prologe auf den Statthalter umgeschrieben. Viele Stücke, die in Paris mit Erfolg aufgeführt wurden, kamen auch nach B. 1830 war das Opernhaus nach der Aufführung von Daniel François Esprit Aubers La Muette de Portici Ausgangspunkt für die Revolution, aus welcher der Staat Belgien hervorging. Das heutige Operngebäude stammt aus dem Jahr 1856 (1985/86 renoviert). Dort fanden zahlreiche Premieren französischer und belgischer Opern statt (Jules Massenet Herodiade 1881, Ernest Reyer Sigurd 1884, Emanuel Chabrier Gwendoline 1886, Vincent d'Indy L'etranger 1903 und Le chant de la cloche 1912, Ernest Chausson Le roi Arthur 1903) sowie erste Aufführungen von Rich. Wagner-Opern in französischer Sprache.

Als bedeutendes Zentrum der Kirchenmusik gilt Sainte Gudule (heute Saint Michel), wo maîtres du chant bereits 1362 und 1402 belegt sind. Besonders zu erwähnen ist die Organistenfamilie a Kempis (v. a. Nicolaus a Kempis), die Organisten Josse Boutmy, Charles-Joseph van Helmont und Etienne Joseph Loeillet, sowie die maîtres du chant Pierre-Hercule Bréhy, Joseph-Hector Fiocco (1737/38) und Charles-Joseph van Helmont (1741).

Erste Nachrichten bürgerlichen Musizierens stammen aus dem Jahr 1339, als von B.er Instrumentalisten berichtet wurde. Seit dem 15. Jh. ist ein fixes städtisches Ensemble belegt. Die Musiker waren in der Zunft Saint-Job zusammengeschlossen, die ihren Sitz in der Kirche Saint Nicolas hatte und das Monopol auf Ausführung der Musik bei diversen Festen besaß. Deshalb kam es immer wieder zu Konflikten mit anderen Musikern der Stadt (v. a. vom Hof und Theater). Die Regierung beendete 1723 die Vorrechte der Zunft.

Im 18. Jh. entstanden die ersten bürgerlichen Konzertgesellschaften. Das Concert Bourgeois wurde 1756 von Pieter van Maldere gegründet. Es folgten zahlreiche andere Gesellschaften. Die bedeutendsten davon sind: Société du Grand Concert (gegr. 1799), die Concerts du Conservatoire (gegr. 1833 von François-Joseph Fétis), die Concerts populaires (gegr. 1865) und die Société philharmonique (gegr. 1927, 1930 mit den Concerts populaires zusammengelegt).

Eine wichtige Institution ist das 1832 gegründete Conservatoire royal de musique (geht auf eine Gesangsschule von 1813 und die daraus hervorgegangene Ecole royale de musique zurück), dessen bedeutendster Leiter 1833–71 Fétis war.


Literatur
MGG 2 (1995); S. Clercx in La Revue Générale 73 (1940); E. Closson/Ch. Van den Borren (Hg.), La Musique en Belgique du Moyen Age à nos jours 1950; E. Fétis, Les Musiciens Belges 1848; J. Gerard, Charles de Lorraine, ou la joie de vivre 1973; [Kat.] Karl A. v. Lothringen Brüssel 1987, 1987; R. Mortier (Hg.), Musique et spectacles à Bruxelles au XVIIIe siècle 1992; J.-P. Muller in Cahiers du service musicale 7 (1986); J. Stehmann, Histoire de la musique en Belgique 1950; Ch. Van den Borren, Geschiedenis van de muziek in de Nederlanden, 1 (1948) u. 2 (1951); E. Vander Straeten, La Musique aux Pays-Bas avant le XIXe siècle, 1–8 (1867–88); R. Wangermée/Ph. Mercier (Hg), La Musique en Wallonie et à Bruxelles, 1 (1980) u. 2 (1982; R. Wangermée, Les Maîtres de Chant des XVIIe et XVIIIe Siècles à la Collégiale des Saints-Michel-et-Gudule, à Bruxelles 1950.

Autor*innen
Anita Mayer-Hirzberger
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Anita Mayer-Hirzberger, Art. „Brüssel (deutsch für französisch Bruxelles)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001f974
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