Stranitzky, Stranitzky, true
Joseph Anton
*
1676-09-1010.9.1676
Knittelfeld?/St,
†
1726-05-1919.5.1726
Wien.
Marionettenspieler, Schauspieler, Prinzipal und Theaterleiter; daneben diplomierter
„Zahn- und Mundarzt“.
Als Sohn eines Lakaien und einer „Tandlerin“ verbrachte St. seine Jugend vermutlich in
Graz. 1697 erstmals als Marionettenspieler („Policinellspieler“;
Puppenspiel) in Augsburg/D belegt, begegnete er 1698 in Burghausen/D, Nürnberg/D und Landshut/D, in den beiden Folgejahren in Augsburg,
München und Nürnberg. 1702 wurde er von dem Marionettenspieler
J. B. Hilverding in Basel als der
„so genannte Styrische Pawr“ bezeichnet, hatte sich also bereits auf jenen bäurischen Lustigmacher-Typus festgelegt, den vor ihm der „Krumauer Komödien-Bauer“ Johann Valentin Petzold, genannt Kilian Brustfleck (gleichfalls ein Steirer), bekannt gemacht hatte. Im September 1702 wurde sein Spielgesuch für Augsburg abgeschlagen, 1704 und 1705 wohnte er mit Hilverding Tür an Tür in der
Wiener Leopoldstadt (Wien II). Sie spielten vermutlich bei Jakob Naffzer in dessen Komödienhütte am Neuen Markt, die sie nach Naffzers Tod 1706 übernahmen. Im September desselben Jahres machte St. an der Wiener Univ. sein Examen als Zahn- und Mundarzt. Anfang 1707 verfügte die Regierung die Schließung der Hütte; Hilverding und St. übersiedelten mit ihrer Truppe in das Ballhaus in der Teinfaltstraße (Wien I), das sie aber 1709 wegen Anrainerbeschwerden ebenfalls räumen mussten. Ab Ostern 1710 spielten sie in dem neu erbauten
Kärntnertortheater, das am 30.11.1709 von der italienischen Gesellschaft des Florentiners
F. M. Pecori eröffnet worden war und wo die
„Teutschen“ mit den
„Wälschen Comödianten“ zunächst alternierend auftraten. Die nach dem Tod
Josephs I. (17.4.1711) verfügte Theatersperre hat St. vermutlich im Reich überbrückt; während der Pest 1713 spielte er mit einer 16-köpfigen Truppe in
Brünn. Im Fasching 1714 spielte er zusätzlich mit Marionetten; auch vor der Kaiserinwitwe Eleonora produzierte er
„eine in Policinello gehaltene Burlesque“. Ab 1717 leitete er das Kärntnertortheater gemeinsam mit seinem alten Kompagnon Hilverding, nach dessen Tod (1721) wieder allein. 1719–22 musste er das Theater abermals mit einer italienischen Truppe teilen, zu deren Leiter 1720 Ferdinando Danese bestimmt wurde.
1708 wurde St. bereits in einer seiner Neujahrsgaben als „bekandter Hanns Wurst“ bezeichnet, und v. a. als „Wienerischer Hanswurst“ ist er auch in die Geschichte eingegangen. Die Figur des Hanswurst hat St. fast ausschließlich in den damals gängigen sog. Haupt- und Staatsaktionen gespielt, und zwar meist – inmitten eines sonst ausgeschriebenen Textes – improvisiert. Als Vorlagen dieser Stücke dienten in der Regel italienische Opernlibretti (Libretto), deren heroisch-galante Welt historischer oder fiktiver Heldengestalten durch die bäurisch-plebejische, derb-realistische Kunstfigur Hanswurst komisch kontrastiert wird. Da St. im Gegensatz zu seinem Nachfolger G. Prehauser offenbar keine Singstimme besaß, verzichtete er in seinen Rollen gänzlich auf Arien. Auch sonst wurde bei der Umwandlung der Opernlibretti in Sprechstücke das lyrische Element weitgehend zurückgedrängt, die Rezitativverse wurden in Prosa umgewandelt, Dialoge erweitert, Chöre beseitigt, die Handlung verdichtet und die Sprache natürlicher Redeweise angeglichen. Dennoch besaß St., wie seiner Truppe bereits 1709 bescheinigt wurde, eine „guete Music“, für die er auch regelmäßig Musikimpost an die „reservierte Hofkassa“ abführte.
Von der Ansicht der älteren Forschung, St. sei auch der Verfasser zahlreicher Bühnenstücke und anderer Schriften, etwa der Ollapatrida, der Lustigen Reyß-Beschreibung oder weiterer, unter seinem Namen herausgegebener Neujahrsgaben, ist man in der neueren Theatergeschichte wieder abgekommen. Als Verfasser bzw. Schreiber der sog. Wiener Haupt- und Staatsaktionen, die größtenteils 1724 in Wien entstanden sind, wird H. Rademin angenommen; neuerdings wird auch ihre Zugehörigkeit zum Wiener Kärntnertortheater in Frage gestellt und statt dessen ihre Entstehung im Umkreis des böhmischen Theatermäzens F. A. v. Sporck vorgeschlagen.
Auch die Authentizität der zahlreichen Bilddokumente, die sich von St.s Hanswurst erhalten haben, ist umstritten. Als älteste Darstellung dürfte „Hans Sausackh von Wurstelfeld“ aus der um 1710 entstandenen Kupferstichserie Il Callotto resucitato oder Neu eingerichts Zwerchen Cabinett des Augsburger Stechers Martin Engelbrecht zu bezeichnen sein.
Als St. am 19.5.1726 im Komödienhaus beim Kärntnertor starb, hinterließ er seiner Witwe Maria Monica (ca. 1680–1758) und seinen zahlreichen Kindern ein stattliches Vermögen. Nach zwei Jahren, in denen die Witwe („Hanswurstin“) das Kärntnertortheater glücklos weitergeführt hatte, wurde ihr das Theater um 2.250 fl abgelöst. Zwei Mitglieder der Hofoper, F. Borosini und F. J. Selliers, übernahmen die Direktion. Die Tradition des Hanswurst wurde von G. Prehauser weitergeführt.
Gedenktafel (Wien VI, Mollardgasse 30).
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15.5.2006
Otto G. Schindler,
Art. „Stranitzky, Joseph Anton“,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
15.5.2006, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e3a2
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