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Landl-Quartett
In Wien gegründetes Vokalquartett, bestehend 1980–88. 1980 trafen sich G. Haid, damalige Generalsekretärin des Österreichischen Volksliedwerkes und Leiterin des gemeinsamen Arbeitsausschusses der Volksliedwerke für Niederösterreich und Wien, M. Walcher, damalige Studentin der Volkskunde und Mitarbeiterin im Niederösterreichischen Volksliedarchiv, Norbert Hauer (* 16.8.1953 St. Oswald/NÖ, damaliger Sozialarbeiter) und Markus Stieldorf (* 30.3.1954 Langkampfen/T, damaliger Student der Veterinärmedizin) in Wien und gründeten das L-Q. Der Name bezieht sich auf eine ihrer ersten Auftrittsgelegenheiten im Wiener Landesgericht für Strafsachen (dem sog. „Landl“) und steht für ein „kokettes Spiel zwischen ländlich-sittlicher Idylle und städtisch-unsittlichem Sündenfall“ (G. Haid). Die Sängerinnen und Sänger traten je nach Verfügbarkeit oder Funktion auch als Landl-Duo (Haid-Walcher, Walcher-Hauer) oder Landl-Trio auf, das vierstimmige Quartett galt jedoch als die repräsentativste Formation. Es sang ohne fixe Arrangements in „spontaner Mehrstimmigkeit“ (G. Haid) und zog Spontanität und Lust am Singen einer perfekten Klangästhetik vor. Es grenzte sich sowohl von der konservativen österreichisch-bayerischen Volksmusikpflege, die als klischeehaft, apolitisch und reglementierend empfunden wurde, als auch von der kommerziellen und negativ konnotierten Volkstümlichen Musik ab. Zudem ist es nicht der Neuen Volksmusik zuordenbar. Haid verwendete alternativ den Begriff einer an der Tradition orientierten, innovatorischen und progressiven Volksmusikpflege. Das L-Q. generierte sein Repertoire u. a. aus Feldforschungen und Archiven (analog der Quellenorientierung der europäischen Folkmusic-Revival-Bewegungen). Wegweisend in Bezug auf die Liedauswahl waren u. a. Wolfgang Steinitz’ Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Dessen inhaltliches Spektrum von Liedern mit oppositionellem, sozialkritischem Charakter und Liedern arbeitender Menschen mit geringer sozialer Anerkennung (z. B. Kleinbauern, Dienstboten, Minenarbeiter) erweiterte das L-Q. um Lieder über Frauen, Arbeitslose, Trinker, Diebe, Landstreicher etc. Mithilfe dieser Texte wurde versucht, einen Gegenwartsbezug herzustellen; sie sollten soziale Realitäten aufzeigen, zur Reflexion anregen, berühren. Lieder wurden auch aufgrund ihrer Melodie oder ihres humorvollen/traurigen Charakters ausgewählt. Vorbilder bzgl. Textinterpretation waren Michael Mitterauer (1937–2022) und Roland Girtler (* 1941). Kontexte vermittelte im Zuge eines Auftrittes vorwiegend G. Haid. Für Feiern oder spontane Auftritte wurden gelegentlich Gstanzln oder Kontrafakturen gedichtet. Das L-Q. förderte die Einbindung und Aktivierung des Publikums durch die Veranstaltung/Präferenz informeller Singanlässe (wie Offenes Singen, Musikantenstammtische), durch das Mitsingen von einfachen bzw. sich wiederholenden Liedpassagen, Jodeln, vorbereitete Liedblätter zum Mitnehmen, das Einbringen „eigener“ Lieder, das Dichten von Gstanzln, Diskussion, imperfekte Singästhetik etc. Die Stärke des L-Q.s lag in der Musik- und Kulturvermittlung, Menschen auf Augenhöhe mit ihren Traditionen zu verbinden. Einen institutionellen und unterstützenden Rahmen bildeten das Österreichische, Niederösterreichische und Wiener Volksliedwerk, die Initiative Mein Dorf und das Internationale Dialekt Institut (IDI), beide vertreten durch Hans Haid (1938–2019), der Aktivitäten und Initiativen zur ländlichen regionalen Entwicklung durch Kultur und Förderung der Basisdemokratie startete. Förderlich war u. a. die österreichische Kulturpolitik unter dem Bundesminister für Unterricht und Kunst Alfred Sinowatz (1929–2008) (Kulturpolitischer Maßnahmenkatalog 1975, Gründung des Österreichischen Kulturservices 1977). Das L-Q. war Teil einer aktiven alternativen ostösterreichischen Volksmusikszene und eng vernetzt mit Protagonisten wie R. Pietsch oder H. Härtel sen. G, Haids beruflicher Wechsel in den Fachbereich für Musikalische Kunst Mozarteum in Innsbruck 1989 und M. Stieldorfs Rückkehr nach Tirol 1988 beendeten die Aktivitäten des Ensembles. Das Quartett verfolgte keine Marketing- oder Professionalisierungsstrategien und veröffentlichte keine Tonträger. Sein Repertoire scheint zum Teil in Liederbüchern auf und wird durch Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Veranstaltungen und Workshops gesungen und weitervermittelt.
Literatur
E. Ströbitzer in A. Ahmedaja (Hg.), Singing, Song and Sound In Arbeit 2024; G. Haid in N. Hauer (Hg.), A Mensch mecht i sein. Musik und Poesie in österreichischen Justizanstalten 2000; U. Morgenstern in A. Ahmedaja (Hg.), Instrumentation and Instrumentalization of Sound: Local Multipart Music Practises in Europe 2017; O. Ronström in The World of Music 38/3 (1996); Beiträge von G. Haid u. M. Weber in Th. Nußbaumer (Hg.), Das Neue in der Volksmusik der Alpen 2014; G. Haid in ÖMZ 9 (1985); G. Haid, Einführung in die Volksmusik Österreichs. Vorlesung gehalten im Wintersemester 1983/84 am Institut für Volkskunde an der Universität Wien, Skriptum 1984; G. Haid in W. u. M. Walcher (Hg.), Sommerakademie Volkskultur 1993; G. Haid, Cultivation of folk music for the future: radical and progressive“. 1st World Congress on Folk Art and Folk Culture. August 23–27, 1988 [Typoskript]; J. Eckard in J. Eckard (Hg.), Die Entdeckung des sozialkritischen Liedes. Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Steinitz 2006; B. Gamsjäger in JbÖVw 67/68 (2018/19); Kunstbericht 1975, hg. v. Bundesministerium für Kunst und Unterricht, 34–38 (www.bmkoes.gv.at, 22.11.2023); E. Ströbitzer, Das L-Q. Zum Andenken an Gerlinde Haid (www.onb.ac.at, 12/2022); Interviews mit M. Walcher, N. Hauer in Perchtoldsdorf am 12.7.2021 u. 23.8.2021 (durch Eva Maria Hois und E. Ströbitzer); Telefoninterview mit M. Stieldorf am 17.8.2021 (durch E. Ströbitzer); Archiv des Österreichischen Volksliedwerkes/ÖNB, Slg. L-Q. und Landl-Duo, Bestandsbilderin G. Haid, Sign. ÖN 21.

Autor*innen
Erna Ströbitzer
Letzte inhaltliche Änderung
31.1.2024
Empfohlene Zitierweise
Erna Ströbitzer, Art. „Landl-Quartett‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 31.1.2024, abgerufen am ), https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_L/Landl-Quartett.xml
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Gedersdorf bei Krems/NÖ, 12.3.1982. Von links nach rechts: Markus Stieldorf, Maria Walcher, Norbert Hauer, Gerlinde Haid© AÖV/ÖNB, Sign. ÖN 21-(3)-3,2
© AÖV/ÖNB, Sign. ÖN 21-(3)-3,2
HÖRBEISPIELE

© AÖV/ÖNB T 142,20
Warum solltn mir Gauner ned lustig sein. Feldforschung Ennstal 1983, Niederöblarn/St


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