Bedingt durch den Wandel der Geselligkeitsformen um 1800, verschob sich auch die Bedeutung der Begriffe. Das N. bezeichnet ab etwa 1810/20 ein einsätziges, meist in Liedform gehaltenes Charakterstück für Klavier, wobei die durch die romantische Literatur vorgeprägte elegisch schmerzhafte Nachtstimmung skizziert werden soll. Bedingt durch die englische Klaviermechanik, die mit ihrer Möglichkeit, Töne lange ausschwingen zu lassen, eine expressive Melodiebildung begünstigte, war der Engländer John Field (1782–1837) der erste Vertreter dieser Gattung. Bei ihm wird eine kantable Melodik in der Oberstimme von verschiedenartig gebrochenen Akkorden begleitet. Seine ab 1814 erschienenen Kompositionen tragen teilweise auch noch den Titel Romances, was auch auf gewisse Hintergründe hinweist.
Bereits ab 1765 sind vokale Formen für verschiedene Besetzungen nachweisbar, die die Bezeichnungen Duetto n. oder N. tragen. Ihre Urbesetzung bestand beim Duetto n. aus zwei Singstimmen (meist Frauen) mit der Begleitung eines Generalbasses. Zu nennen wären hier u. a. zunächst Guglielmo d’Ettore (N.i für 2 Singstimmen u. Gb.), Giuseppe Aprile (N.i für 2 Singstimmen u. Gb. [1783]), Carlo Angrisani (N.i für 3 Singstimmen a cappella), Giuseppe Felice Blangini (N.i für 2 Singstimmen u. Kl.), Bonifazio Asioli (N.i für 2 Singstimmen u. Kl./Hf.), aber auch W. A. Mozart (6 N.i für 2 Soprane, Bass u. 3 Bassetthörner [2 Klar. u. Bassetthorn] KV 436–439, 346/439a u. 549 [ca. 1783/86]), L. A. Koželuch (N.i für 4 Singstimmen u. Kl./Vc. [1796]), J. Mysliveček (N.i für 2 Singstimmen, 2 Klar., 2 Hr. u. Str.), J. B. Henneberg (N.i für 4 Singstimmen u. Kl. [1802]) sowie A. Salieri und M. Kelly. Viele Komponisten (auch Mozart) entnahmen die Texte für ihre N.i den Dichtungen von P. Metastasio. Gesungene N.i sich auch noch bei G. Rossini (Soirée musicale [1835]) und G. Verdi (Guarda che bianca luna für Sopran, Tenor, Bass, Fl. u. Kl. [1839]). Auch Stücke aus nächtlichen Opernszenen wurden als N.i bezeichnet (C. Kreutzer Leise wehet aus Das Nachtlager von Grenada [1834]; auch noch 1935 in Alban Bergs Lulu [Das ist der letzte Abend]). Ebenso findet das N. im Lied des 19. Jh.s – zumindest thematisch – seinen Niederschlag (z. B. Fr. Schubert Sanft glänzt die Abendsonne D 382 [1816]; H. Wolf Nacht und Grab op.3/1 [1875]). Als Vollender des N. für Klavier gilt F. Chopin (21 N.i ab ca. 1830), der die dramatische Leidenschaft zu skizzieren versuchte und die Gattung zu unerreichten Höhen führen konnte. Von Bedeutung sind auch R. Schumanns Nachtstücke op. 23 (1839), deren Titel von E. T. A. Hoffmann inspiriert ist und die mehr eine beklemmende, unheimliche Atmosphäre zu vermitteln suchen. Im Allgemeinen ist zu beobachten, dass literarische Bezugnahmen oder Motti bzw. programmatische Überschriften den Charakter des N. vertiefen sollten. Im weiteren Verlauf des 19. und frühen 20. Jh.s schrieben auch Komponisten wie A. Rubinstein (2 N.i [1848]), Gabriel Fauré (13 N.i [1883–1933]), Alexander Skrjabin (N. [1884]), F. Liszt (N. En rêve [1885]), Sergej Rachmaninow (3 N.i [1887/88]), Claude Debussy (N. [1892]), Max Reger (In der Nacht [1902], Nachtstück [1902/03]), Paul Hindemith (Nachtstück in der Suite [1922]) und Francis Poulenc (9 N.i [1925–38]) Klavierstücke, die den Titel N. oder eine synonyme Bezeichnung tragen.
Die verschiedenen Termini für Nachtmusik finden sich auch noch in der Kammer- und Orchestermusik des 19. und 20. Jh.s. In der Kammermusik spannt sich dieser Bogen von L. v. Beethoven (N. für Va. u. Kl. op. 42 [Fremdbearbeitung, jedoch v. Beethoven autorisiert]) und Fr. Schubert (N. für V., Va. u. Kl. D 897 [Titel nicht v. Schubert]) über L. Spohr (N. für Harmonie- und Janitscharenmusik op. 34) und A. Schönberg (Verklärte Nacht op. 4 für Streichsextett [1899; nach einem Gedicht Richard Dehmels]) bis hin zu Benjamin Britten (N. in der Serenade für Tenor, Hr. u. Str. op. 31 [1943]; N. für Tenor, 7 obligate Instrumente und Str. op. 60 [1958]).
Einen ersten Höhepunkt der Nachtmusik-Kompositionen für Orchester markiert Felix Mendelssohn Bartholdys N. in Ein Sommernachtstraum (1826). V. a. Komponisten an der Wende zum 20. Jh. fanden verstärkt Gefallen an Nachtmusiken für Orchester, u. a. G. Mahler (7. Symphonie [1905], Sätze 2 u. 4 jeweils Nachtmusik), C. Debussy (Trois nocturnes [Nuages, Fêtes, Sirènes] für Orch. [1897–99]), M. Reger (Romantische Suite op. 125 [1912; nach Joseph v. Eichendorff], 1. Satz), Maurice Ravel (Daphnis et Chloé [1909-13], 1. Ballettsuite) und Dmitri Schostakowitsch (Violinkonzert op. 77 [1947/48], 1. Satz). H. W. Henze dagegen verbindet in seinen Nachtstücken für Sopran und Orchester (1957) wieder vokale und instrumentale Elemente.
W. Krueger, Das Nachtstück, Diss. Kiel 1970; H. J. Wignall in MozartJb 1993; MGG 7 (1997) u. 9 (1961); NGroveD 18 (2001); Riemann 1967; A. Edler, Gattungen der Musik für Tasteninstrumente 2003; P. Piggott, The Life and Music of John Field 1973; D. Branson, John Field and Chopin 1972; Ch. M. Schmidt in H. de la Motte-Haber (Hg.),Nationaler Stil u. europäische Dimension in der Musik der Jh.wende 1991; R. Hess, Serenade, Cassation, N. u. Divertimento bei Michael Haydn, Diss. Mainz 1963.