Als erstes seien hier die sog. Hausorchester von Männergesangvereinen genannt, durch die einerseits Männerchöre mit Instrumentalbesetzung aufgeführt werden konnten, andererseits jedoch auch Programmabfolgen bei Auftritten durch reine Instrumentalvorträge aufgelockert wurden. Solche Orchesterabteilungen unterhielt der größere Teil der Männergesangvereine im ausgehenden 19. bzw. im beginnenden 20. Jh., als Beispiele seien hier genannt: MGV Atzgersdorf (1899–1910 Hausorchester mit 22–26 Mann), MGV Himberg/NÖ (Hausorchester ab 1869 mit 17 Mann), MGV Inzersdorf (heute Wien X; ab 1877 Hausorchester mit 12–25 Mann), MGV Mödling (ab 1880 Hausorchester, 1910 20 Mann), MGV Perchtoldsdorf (1880–1935 Hausorchester nachweisbar). In manchen Fällen wurden MGV.e von Haus aus als Gesang- und O.e gegründet (z. B. Gesang- und O. „Harmonie“ Münchendorf/NÖ, 1885), auch kam es infolge des Erfolges der Orchester bzw. hoher Mitgliederzahlen derselben zu Vereinsumbildungen, die das Orchester als gleichwertigen Partner neben die Sänger treten ließen (z. B. MGV Guntramsdorf/NÖ [gegr. 1893], 1921 umbenannt in Deutscher Gesang- und O. Guntramsdorf; die Orchesterabteilung bestand seit 1896 und zählte 1937 18 Mitglieder). Besonders große Hausorchester machten sich sogar selbständig, d. h. lösten sich vom Stammverein und bildeten reine O.e. (z. B. Musik- und O. Liesing [heute Wien XXIII], gegr. 1889; ging aus dem 1874 gegründeten Hausorchester des MGV Liesing hervor und zählte 1889–1900 im Schnitt ca. 33 Mitglieder). Ebenso gab es Verbindungen zu Theatervereinen (z. B. Konzert- und Theaterverein Gumpoldskirchen, gegr. 1925).
Freilich kam es auch ohne Einfluss des Sängerwesens zur Gründung von Orchestern. Die Bezeichnungen hierbei variierten (O., Musikverein, Konzertverein, Orchesterbund, Kapelle, Salonorchester), wenngleich sich dahinter in den meisten Fällen durchaus ähnliche Vereinigungen befanden. Oft lässt sich jedoch heute (2004) nicht mehr mit Sicherheit feststellen, ob es sich um eine Blasmusikkapelle (Blasorchester) oder ein Orchester mit Streichern und Bläsern handelte. Diese Vereine konnten auch von einzelnen Berufsständen (Eisenbahnbeamte, Polizei, Feuerwehr etc., z. B. Musikverein der Sicherheitswachebeamten Mödlings, gegr. 1931), politischen Parteien bzw. Ideologien (v. a. Sozialdemokraten) oder nationalen Gruppierungen getragen werden. Die Leitung dieser O.e. lag großteils in professionellen oder semiprofessionellen Händen (oft Männer aus dem Lehrerstand), ihr mehrmals jährlich zum Besten gegebenes Repertoire (Konzerte, Tanzveranstaltungen) setzte sich vornehmlich aus Tanzmusik, Ouvertüren, Opern- und Operettenmelodien (Potpourris) und anderer Unterhaltungsmusik zusammen. O.e., die ihrem Wesen nach eigentlich reine Blasmusikkapellen waren, pflegten auch Marschmusik, Vereine auf höherem Niveau (z. B. Orchesterverein der Gesellschaft der Musikfreunde; Akademischer Orchesterverein; Musikverein Mödling, gegr. 1906 von R. Knarr [1913 60 Mitglieder]; Konzertverein Mödling, gegr. 1923 von F. Greissle) auch symphonische Musik. Diese O.e. konnten es sich dann auch leisten, Berufsmusiker zur Verstärkung oder für bestimmte Instrumente zu engagieren. Kaum begründet muss werden, dass sich leistungsfähigere O.e. v. a. im städtischen Bereich fanden/finden (z. B. zählte Wien 1909 21 Amateurorchester).
Anders als bei den Männergesangvereinen gab es bei den O.en weniger politisch-nationalen Zündstoff, da sich mit dem gesungenen Wort Gesinnungen und Intentionen eindeutiger tradieren ließen als mit reiner Instrumentalmusik. Andererseits dienten v. a. sozialdemokratisch gefärbte O.e in den frühen 1930er Jahren der verkappten politischen Betätigung (Arbeiter-Musikbewegung); die Orchesterproben dürften wohl in vielen Fällen nur Schutzschild für einen entsprechenden Gesinnungsaustausch gewesen sein (z. B. Arbeiter-Musik- und Bildungsverein Liesing und Umgebung, gegr. 1932, aufgelöst 1934; zählte 1933 120 Mitglieder, davon aber 2/3 „nur“ Unterstützer).
In den Nachbarländern Deutschland und Schweiz bildeten sich auch entsprechende Dachverbände, die die O.e. unter ihre Fittiche nahmen. In der Schweiz der Eidgenössische Orchesterverband (1918) und in Deutschland der Bund deutscher O.e (1924), ein Zusammenschluss aller O.e, „die das Orchesterspiel ohne gewerbsmäßige Zwecke auf gemeinnütziger Grundlage im Interesse der allgemeinen Volksbildung pflegen“ (Riemann 1929). Letzterer besteht heute noch unter geändertem Namen (Bund deutscher Liebhaberorchester [BDLO]) und zählte 1929 ca. 50 Mitgliedsvereine, per 1.1.2004 gehörten 508 Orchester dem Bund an. Eine einflussreiche Dachorganisation für O.e. in Österreich gab es nie. Den Bereich der Blasmusikkapellen deckt heute der Österreichische Blasmusikverband ab, jenen der eher volkstümlichen Orchestervereinigungen (Harmonika-, Zither-, Mandolinenorchester etc.) der Verband der Amateurmusiker und -vereine Österreichs (VAMÖ).
MGG 10 (1962) [Orchester]; R. Noltensmeier (Hg.), Metzler Sachlex. Musik 1998 [Musikorganisationen]; Riemann 1929 [Vereine]; Riemann 1967 [Gesellschaften und Vereine]; Ch. Fastl, „Waldigen Hang, grünendes Tal durchtön’ dt. Sang mit mächtigem Schall!“ , Diss. Wien 2003; R. Flotzinger in F. Kadrnoska (Hg.), Aufbruch und Untergang 1981; MGÖ 3 (1995); [Fs.] 1851–1971. 120 Jahre Musikverein Marchtrenk 1971; www.bdlo.de (6/2004).