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Theater in der Leopoldstadt
Wiener Vorstadttheater in der Jägerzeile (heute Wien II, Praterstraße 31). Nachdem der Versuch der Wiener Theaterpachtung, 1769 die sog. Badener Truppe (nach ihrem Stammsitz Baden) an das Kärntnertortheater zu holen, am Widerstand von J. v. Sonnenfels gescheitert war, eröffnete der Badener Prinzipal J. M. Menninger am 15.10.1769 im „Wimmerischen“ oder „Czerninischen Saal“ in der Leopoldstadt eine Vorstadtbühne, die er mit Carl Theodor Kopps Der Boßhafte, mit Jean dem gewissenhaften Diener eröffnete. Die Badener Truppe, die seit 1768 über den populären Kasperl-Darsteller J. J. La Roche verfügte, spielte bis Anfang Sommer 1772, dann kehrte sie wieder in das Stammhaus nach Baden und in die anderen Provinztheater zurück. Erst nach dem Zusammenbruch des Wiener Theaterprivilegs 1776 wurde das Palais in der Leopoldstadt wieder bespielt und in seiner Nähe am 20.10.1781 von J. M. Menningers Kompagnon K. Marinelli das Th. i. d. L. als erstes Wiener Vorstadttheater mit dem Gelegenheitsstück Aller Anfang ist schwer eröffnet. Baumeister waren der kaiserliche Wasserbaudirektor Jean-Baptiste Brequin und Peter Mollner. Der von Kaspar Fibich gemalte Vorhang verkündete das sieghafte Weiterleben der lustigen Person, indem Kasperl auf einem geflügelten Wagen zum Parnass hinauffuhr, dessen reguläre Zufahrt ein als J. v. Sonnenfels erkennbarer Kunstrichter versperrte. 1781 bestand das Ensemble neben den Prinzipalen K. Marinelli und J. M. Menninger aus den Schauspielern J. J. La Roche, Karl Richter, Josef Reisenhuber, Nikolaus Kiendl, Alois Wolschowsky und deren Frauen sowie den Geschwistern K. Marinellis, Josef und Elisabeth. Das durch rund 25 Jahre beliebteste Ensemblemitglied war La Roche, der die Figur des Kasperls unsterblich machte. 1787 kam An. Hasenhut an die Bühne, der dem Kasperl eine zweite komische Figur, Thaddädl, an die Seite setzte. I. Schuster kreierte 1813 jene des Staberls.

Der Spielpan der ersten Jahrzehnte bestand aus lokalen Lust- und Singspielen. Das lokale Lustspiel war meist eine Verwechslungs- und Intrigenkomödie, die Kasperl Verwandlungsrollen lieferte. Das Singspiel, zunächst rein lokal und mit Kasperl, wandte sich um 1786 dem höheren Singspiel und der singspielhaften Oper zu, die im Kärntnertortheater nach Entlassung des deutschen Singspiels (1787) ganz aufgegeben worden war und jetzt im Th. i. d. L. Aufnahme fand. Der Brand des Brünner Theaters 1786 bescherte den Eintritt W. Müllers, des bedeutendsten Komponisten der Wiener Lokalstückmusik; dieser begleitete die Geschicke des Theaters bis in sein hohes Alter. Sehr beliebt waren J. B. Schenk (1785 Weinlese, 1786 Weihnacht auf dem Lande), F. L. Gaßmann (1786 Die Gräfin), C. Ditters v. Dittersdorf (1787 Der gefoppte Bräutigam, 1788 Apotheker und Doktor, 1789 Hieronymus Knicker), A. Salieri (1786 Der Rauchfangkehrer), G. Paisiello (1778 La Frascatana); den größten Erfolg hatte jedoch V. Martín y Soler mit Una cosa rara (1787) und Der Baum der Diana (1788) in der Bearbeitung Fe. Eberls. Die Lokalstücke schrieben, neben dem reinen Kasperlstück (K. Richter, K. Marinelli, J. J. La Roche u. a.), besonders Fe. Eberl, J. Perinet und C. F. Hensler. Perinet war v. a. der Erneuerer Ph. Hafners, dessen Werke er zu dauernder Beliebtheit brachte (1793 Das Neusonntagkind, 1794 Die Schwestern von Prag, 1795 Der Alte überall und nirgends, 1796 Lustig lebendig). Hensler hatte 1786 als Bühnenautor debütiert, schrieb sodann erfolgreiche Stücke für Kasperl und errang 1794 mit Petermännchen einen ersten großen Erfolg; es folgten Sagen- und Ritterstücke (Donauweibchen 1798). Hensler war der kreativste Bühnenautor des Theaters, 1786–92 wurden 94 seiner Stücke aufgeführt.

1803 starb K. Marinelli und hinterließ 120.000 fl. C. F. Hensler erwarb das Theater auf 13 Jahre um 8.300 fl Pachtzins. Am 1.5.1814 übernahm der Eisenhändler L. Huber die Pacht, ab 1817 führte er auch die Direktion. 1818 erhielt Marinellis Sohn Franz das Privilegium. Hensler gewann als Autoren für das Lokalstück 1804 J. A. Gleich und 1806 A. Bäuerle. Seine besondere Sorgfalt galt der Pantomime; im März 1805 trat F. Keeß d. J. als Pantomimenmeister ein. 1821 wurde über L. Hubers Vermögen der Konkurs verhängt; daraus entstand ein Rechtsstreit, der erst mit dem Verkauf des Theaters an den Warschauer Großhändlersohn Rudolf Steinkeller am 31.8.1827 beendet werden sollte. 1821 wurde wieder C. F. Hensler als Direktor angestellt. L. Hubers glücklichste Erwerbung war F. Raimund gewesen, der am 11.10.1817 debütierte. Feen- und Zauberstücke zogen jetzt ins Theater ein; Bäuerle, K. Meisl und Gleich schrieben die erfolgreichsten Stücke, doch Raimund erfüllte dieses Genre mit neuem Gehalt. Unter Steinkeller war er vom 17.4.1828 bis zum 9.9.1830 Direktor der Bühne. Von seinen acht Zauberspielen wurden sechs in der Leopoldstadt aufgeführt, darunter Der Barometermacher auf der Zauberinsel (1823), Der Diamant des Geisterkönigs (1824), Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1828) und Der Verschwender (1834). R. Steinkeller verließ 1831 fluchtartig das Theater; Franz v. Marinelli übernahm die Leitung, kam aber bald in finanzielle Schwierigkeiten und wirtschaftete 1836/37 gänzlich ab. Das Theater wurde um 170.000 fl an C. Carl, den Pächter und Direktor des Theaters an der Wien, verkauft. Kurz vor der Übernahme des Theaters durch Carl erschienen, beginnend mit dem Erfolgsstück Lumpazivagabundus (1838), auch Stücke von J. N. Nestroy. Carl eröffnete das Theater am 26.12.1838. Zunächst hielt er die Ensembles getrennt, versuchte den Marinellischen Spielplan fortzusetzen, Zauberspiele und Zauberpantomimen wurden von Gastspielen des Theaters an der Wien unterbrochen. 1840 wurden die beiden Ensembles vereinigt. Als Carl das Theater an der Wien 1845 an F. Pokorny verlor, ließ er das Leopoldstädter Theater renovieren, schon damals kündigte er den Bau eines größeren Theaters an. Am 3.4.1847 wurde der Baukonsens ausgestellt, am 7.5. fand die letzte Vorstellung statt. Am 10.12.1847 eröffnete Carl sein neues Carltheater.


Literatur
Czeike 5 (1997); G. A. van der Stranden, Unpartheyische Betrachtungen über das neuerbaute Schauspielhaus in der Leopoldstadt 1781; Theateralisches [sic!] Taschenbuch zur geselligen Unterhaltung vom k. k. priv. Th. i. d. L. 1–34 (1814–47); J. E. Protkhe, Das Leopoldstädter Theater 1847; F. Hadamowsky, Die Gründungsakten der Leopoldstädter Bühne 1928; F. Hadamowsky, Das Theater in der Wr. Leopoldstadt 1781–1860, 1934; O. Rommel, Die Alt-Wr. Volkskomödie 1952; R. Messner in Wr. Geschichtsbll. 16 (1961); E. Futter, Die bedeutendsten Schauspielerinnen des Leopoldstädter Theaters 1800–1830, Diss. Wien 1965; L. Tatzer in Wr. Schriften 24 (1966); V. Keil-Budischowsky, Die Theater Wiens 1983; Hadamowsky 1988; J. Hein, Das Wr. Volkstheater 31997.

Autor*innen
Otto G. Schindler
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Otto G. Schindler, Art. „Theater in der Leopoldstadt“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e472
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Frontalansicht über die Jägerzeile (Praterstraße). Stich von Cohn, 1820© Bildarchiv Austria, ÖNB

DOI
10.1553/0x0001e472
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